(Hansjürg Hirsig berichtet über seinen Rekord-Segelflug)
Ende 2010 sass ich das letzte Mal für die AeroBeo Info hinter der Tastatur. Damals recherchierte ich und versuchte meine Aussenlandung im Kaltluftsee von Bludenz zu verstehen. Obwohl mich damals dieses Wetterphänomen nach einem fast 200er Rückenwindschnitt vom Berner Oberland bis zum Arlberg kaltblütig ausgebremst hat, ist der Glaube an etwas ganz Grosses ab unserem wunderschönen Flugplatz Thun immer geblieben.
Der Hunger nach Föhnstreckenflügen startete im Jahr 2009 mit ersten Erkundungsflügen innerhalb der Landesgrenzen im Doppelsitzer mit Marcel Bellorini ab Flugplatz Thun. Im Frühling 2012 durfte ich mit dem Gruppendiscus nach Zell am See. Gut vorbereitet und des Föhnpotenzials durchaus bewusst, war das Glück dann auch auf meiner Seite. Nach einem sehr schwierigen und zeitraubenden Föhneinstieg via Kitzbühler Alpen zum Rofan konnte ich meine Aufgabe via Bludenz – Grimmig von ca. 650km mit einem 110 km/h Schnitt abschliessen.
Viele Flüge begeisterten mich immer wieder von diesem wunderbaren und doch sehr unbekannten Wettersystem. Einen Sonnenaufgang im Segelflugzeug zu bestaunen, halte ich immer noch als etwas vom Grössten, was man sich als Segelflugpilot vorstellen kann. Leider war aber allzu oft die Grosswetterlage zu ungünstig, um die Aufwindsysteme zwischen Unterwallis und Wien zu erfliegen. Sehr oft ist die Schweiz bis und mit Montafon gut aufgebaut, wo aber die österreichischen Alpen noch im Windschatten vom herannahenden Tief stehen. Wenn dann aber die österreichischen Föhnprofis ihre 1000er abspulen, können wir das dann in der Schweiz nur noch nach Frontdurchgang bei Vollregen zur Kenntnis nehmen.
Im Jahr 2013, es war der 19. Juni, versuchte ich es. Mein Lieblingsdiscus OM war mit der deklarierten Aufgabe von etwas über 1000km bereit. Der Start lief hervorragend. Das Windfeld nahm aber nach dem Arlberg spürbar ab. Vor 12 Uhr musste ich am Achensee eingestehen, dass bei nicht genügend klarer Windstruktur und bei einem Wochentagflug mit klarer Landeplanung in Thun wohl doch nicht der richtige Tag sei. Den Entscheid habe ich nie bereut, auch wenn die anderen kaltblütiger waren und meine geplante Route abgeflogen sind und den Flug nach Hause gebracht haben.
Elf Jahre musste es dauern, bis ich wieder mit derselben Aufgabe im Kopf gestartet bin. Nur dieses Mal ohne Loggerdeklaration und ausschliesslich auf maximales Erlebnis aus. Trotz stark eingeschränkter Sicht und an der Grenze der VFR-Bedingungen wegen Saharastaubs hat sich der 8 Stunden 49 Minuten dauernde Flug absolut problemlos angefühlt. Das Windprofil war gut aus 200 bis 210 Grad mit ca. 60 – 80km/h Wind. Start war mit etwas Verspätung um 6:50 Lokalzeit. Erstmalig habe ich am Niesen geklinkt, da ich das Hahnenmoos wegen der extremen Staubkonzentration nicht sehen konnte. Um 10:06 habe ich bereits nach dem Dachstein kurz vor Niederöblarn gewendet. Dies ergibt auf 480km einen Schnitt von 160km/h ab Klinkhöhe.
Der Rückweg war mit etwas Gegenwind und Tiefpunkten bei Innsbruck und Bad Ragaz ebenfalls unproblematisch. Etwas Nerven gekostet haben zwei Punkte: Es ist absolut normal, dass das Inntal den Föhn stark kanalisiert und in den unteren Höhenlagen kein Hangaufwind mehr zu erwarten ist. Zwischen dem Wilden Kaiser und dem Rofan sind demnach 40km mit ca. 100km/h Gegenwind und ohne Auffanglinien durchzufliegen. Ein noch krasseres Gefühl hatte ich bei Landeck. Im Hangaufwind und mit genügend Speed-Reserven flog ich zur Parseier Spitze, welche den Abzweiger zum Arlbergpass zeichnet. Hier standen massive Rotorwalzen quer zu meiner Linie, welche durch die Silvretta und das Paznauntal entstehen. Ob also der Hangaufwind oder die überlagerten Leewalzen den Flugweg beeinflussen, musste alternativlos durchflogen werden.
1100 Kilometer mit einem Schnitt von 127km/h, dies mit Landung um 15:39 Lokalzeit in Thun. Sunset wäre um 18:57 gewesen. Natürlich freue ich mich sehr über diesen einmaligen Flug. Wahrscheinlich hat man mich aus 4500m über dem Berner Oberland am Talboden jauchzen gehört. Die wahre Leistung ist aber aus meiner Sicht nicht das technische Abfliegen der bekannten Route. Viel mehr freue ich mich über die mentale Leistung, die ebenfalls Grundvoraussetzung ist für einen solchen Flug.
Hansjürg Hirsig, geflogen auf JS3 HJ HB-2725