Vom New York State ins Berner Oberland

von Garrett Fisher* https://garrettfisher.me
Danke an Simon Anderman, CFO Gstaad Airport, für die Vermittlung
Übersetzung aus dem Englischen: Hans-Peter Zimmermann


In meiner Jugendzeit im Staat New York, nahe an der Grenze zu Kanada, restaurierte mein Grossvater Piper Cubs und Super Cubs auf seinem privaten Flugplatz mit Graslandepiste neben meinem Elternhaus. Während acht Jahren hing der Holm eines Flügels im Hangar, als ob er darum bitten würde, endlich fertiggestellt zu werden, und ich fragte meinen Opa mehrmals, wozu der gut sei. Die Antwort war immer die gleiche: „Es ist für eine PA-11; dein Vater will eine haben.“

Im September 1997, fünfzig Jahre nachdem mein Grossvater seinen Soloflug in einer J-3 absolviert hatte, machte ich meinen Soloflug in der restaurierten PA-11 auf dem erwähnten Grass Strip. Im Jahr darauf erwarb ich mein PPL(A). Fliegen war aufregend und machte grossen Spass, bis ich nach North Carolina zog und eine siebenjährige fliegerische Pause einlegte.

Im Jahr 2007 kam Google Earth heraus mit der Flugsimulator-Funktion. Es dauerte nicht lange, bis ich begann, die F-16 durch die Schweizer Alpen zu steuern. Wie es dazu kam, dass ich mich in dieses Land verliebte, weiss ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur daran, dass ich von der geringen Höhe der Berge in Colorado enttäuscht war. Ich verbrachte viele Stunden damit, über Gipfel und riesige Gletscher in einem Gebiet zu fliegen, das vom Berner Oberland bis zu den Glarner Alpen reichte.

2010 starb mein Vater und ich erbte die PA-11. Nach zwei Jahren in North Carolina durchquerte ich die Vereinigten Staaten dreimal mit dem Flugzeug, von und nach Colorado und nach Wyoming. Das Flugzeug hatte damals bei allen drei Flügen weder Elektrik noch Starter, Transponder oder Funk. In diesem Zustand wurde das Flugzeug für ein Jahr in Leadville, Colorado, auf 9.927 Fuss MSL, dem höchstgelegenen Flughafen Nordamerikas, stationiert. Ich fragte um Rat oder Anweisungen, wie man an einem solchen Ort einen Cub fliegt, und mir wurde gesagt, „dass ich mit diesem Flugzeug keine Zeit verschwenden soll“, also brachte ich mir das Bergfliegen selbst bei. Nach acht Monaten war ich zu allen 58 Gipfeln über 14.000 Fuss in Colorado geflogen und hatte sie fotografiert. Innerhalb von 15 Monaten hatte ich fast 400 Stunden damit verbracht, durch ganz Montana, Utah, Idaho, Colorado und Wyoming zu fliegen und zu lernen, wie man mit Wind, Rotoren, Wellen und Wetter aller Art umgeht. In dieser Zeit bin ich auch zu jedem Gletscher in den amerikanischen Rocky Mountains geflogen und habe sie alle fotografisch festgehalten. Es war 2015 während der Zeit in Wyoming, als ich ein Handfunkgerät und ein 406,9 MHz ELT hinzufügte.

Ende 2015 fügte ich ein batteriebetriebenes elektrisches System, einen Mode-S-Transponder und einen Starter hinzu und verschiffte das Flugzeug nach Deutschland. Die Vorstellung, dass der Umzug in mein Vaterland etwas Tolles sei, war eine lange und fehlgeleitete Geschichte, die ein halbes Jahr später mit dem Umzug in die spanischen Pyrenäen und der Stationierung des Flugzeugs in einem anderen Hochtal endete.

Es dauerte nur zwei Jahre und Hunderte von Flugstunden in den Pyrenäen, bevor ich meinen ersten Flug in die Alpen unternahm. Ich verbrachte einen langen Sommer bis in den Herbst in der Schweiz, wo meine erste Aufgabe darin bestand, die Cub zu allen 82 Viertausendern zu fliegen, was etwas mehr als zwei Monate dauerte. Während ich bei meinem zweiten Flug das Matterhorn erreichen konnte, dauerte es ungefähr sechs Flüge, bis ich den 100-PS-Motor mit 18 Gallonen Treibstoff auf 16.000 Fuss brachte, um auf den Mont Blanc hinunterzusehen.

Bevor ich in den Alpen geflogen bin, war ich mir der Gletscher bewusst. Schliesslich habe ich viel zu viel Zeit damit verbracht, im Flugsimulator über sie zu fliegen und die grösseren Gletscher im Internet zu recherchieren. Sie waren so gross und aus der Ferne atemberaubend, dass ich einfach nicht an sie dachte, bis ich in die Luft kam. Mitten in meiner Verfolgung der 4000er unternahm ich einen dreistündigen Flug in die Aletschgletscher-Arena und flog 500 Fuss über dem Konkordiaplatz, dem Aletschgletscher, den Firnen darüber und dem Fieschergletscher. Ich entschied, dass es die Konsequenz wert war, wenn der Motor ausfallen sollte. Danach ging es zurück zu den 4000ern, bis zum nächsten Sommer.

Für 2019 entschied ich mich, jeden Gletscher in den Berner Alpen zu fotografieren. Sie gehören sicherlich zu den grössten in den Alpen; das geografische Gebiet ist jedoch nicht allzu gross. Gleichzeitig ist der Spätsommer, wenn die Gletscher am wenigsten Schnee haben, eher wolkenreich. Es war eine gute Übung zu lernen, wie man cool bleibt beim Flug über diese Naturwunder, bei Wetterbedingungen, an die ich nicht gewöhnt war. Ich musste auch mit dem Risiko leben, keinen Platz zum Landen zu finden, wenn der Motor ausgeht. Der Aletschgletscher und der Fieschergletscher sind ungeeignete Notlandeplätze, der Aargletscher und verwandte Täler sind aber auch nicht besser.

Was bei jedem dieser Flüge geschehen ist, geschieht bis heute: Meine Angst oder Vorsicht vor dem Überfliegen gefährlicher Orte verfliegt einfach und wird durch nichts als Ekstase ersetzt. Einige meiner Lieblings-Abenteuer sind eine enge Überquerung des Finsteraarjochs, des Lauteraarsattels oder des Wellhornsattels oder ein Absinken auf 7.500 Fuss in das Becken des Ischmeers, das ich „die Kathedrale“ nenne. Dies sind die gleichen Orte, an denen ich die F-16 im Jahr 2007 auf Google Earth geflogen bin. Ich hätte damals nie gedacht, dass ich das einmal live in der PA-11 erleben würde.

2021 war das bisher ehrgeizigste Projekt. Ich hatte bis Anfang Jahr grösstenteils alle Gletscher des Wallis, des Mont-Blanc-Massivs, der Berner Alpen und die Gruppe beim Sustenhorn fotografiert. Jeder andere Gletscher in den Alpen blieb unfotografiert. Anfang 2021 beschloss ich, eine gemeinnützige Organisation zu gründen und möglichst jeden nichtpolaren Gletscher auf der Erde zu fotografieren, bevor er schmilzt. Daher blieb keine Zeit, den Rest der Alpen langsam anzugehen. Mein Ziel war es, die Alpen zu vervollständigen, wenn ich konnte, und ich war erstaunt, als ich das schaffte, indem ich im August und September fast 90 Stunden in der PA-11 zu den meisten Ecken der Alpen flog und jeden verbleibenden Gletscher fotografierte.

Während ich in künftigen Sommern Flüge in viel weiter entfernte Orte unternehmen werde, bleiben die Alpen ein Favorit. Ich wünschte nur, sie wären höher.


*Garrett Fisher hat 31 Bücher veröffentlicht, schreibt für mehrere Luftfahrtmagazine und hat fast 1.900 Flugstunden in seinem Logbuch. Er bloggt unter www.garrettfisher.me


Ich im Jahr 1997, vor dem Soloflug in der PA-11

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert