(von Lukas Kappenberger)
Die SSAVmed (Swiss Society of Aviation Medicine) engagiert sich für aktuelle Belange der Flugmedizin, insbesondere im regulativen und wissenschaftlichen Bereich. Sie pflegt den fachspezifischen Austausch mit der Aeromedical Section (AMS) des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL), mit dem Aero-Medical Center (AeMC) des Fliegerärztlichen Instituts (FAI) in Dübendorf, sowie dem Aero-Medical Center (AeMC) von SWISS Medical Services im Flughafen Zürich-Kloten und orientiert über die Beschlüsse der European Society of Aerospace Medicine (ESAM). Einfach gesagt führen deren BAZL-akkreditierte Mitglieder die Pilotenprüfungen durch und beurteilen die flugmedizinische Tauglichkeit. Jeder Pilot muss nach der Selektion bzw. ersten Anwerbung alle zwei Jahre eine flugmedizinische Untersuchung durchgehen, über 50-Jährig wird das jährlich sein.
Fliegerärzte (AME=Aeronautical Medical Examiner) müssen sich regelmässig weiterbilden. So hatten wir hier in Saanen die Ehre, diese Fortbildung auf dem Flugplatz zu planen und zu organisieren. Von den gesamtschweizerischen rund 65 AMEs waren 36 eingeschrieben, schliesslich nahmen an dieser Fortbildung 55 Personen teil. Als Thema wählten wir: «What pilots expect from aviation-medicine». Nach der Begrüssung durch Gemeindepräsident Toni von Grünigen erklärte Gastgeber Walter Egger einige Eckdaten zum Flugplatz. Der Chefarzt des BAZL, Dr. Sze, und der Präsident der SSAVmed, Dr. Schrago, führten dann durch die Vorträge. Die Redner (Piloten) waren eingeladen, einmal ihre Sorgen jenseits der Reglemente vorzustellen, und die Mediziner sollten erfahren, welche Probleme einem Piloten unerwartet Stress verursachen können, die medizinisch schwer fassbar sind und selten zur Sprache kommen.
So führte der einheimische Beat Marti, Rettungshelikopterpilot, eindrückliche Szenarien vor, wenn zum Beispiel im Nachtflug im Gebirge ohne Mondschein das GPS ausfällt und mit einem Lichtkegel von der Grösse einer Taschenlampe eine Unfallstelle gesucht werden muss. Auch unangebrachtes Verhalten von Geretteten kann eine ganze Intervention bedrohen; den Zuhörern lief es kalt über den Rücken.
Vom segelfliegenden Anästhesisten Dr. Heini Schaffner lernten wir dann Neues über den Einfluss von Sauerstoffmangel in der Höhe. Gut dokumentiert konnte er zeigen, wie bereits ab 1500 Meter über Meer die Sauerstoffsättigung im Blut abnimmt und zu Farbsehstörungen und Vigilanz-Problemen führt, was man als Berggänger sonst gar nicht bemerkt. Im Cockpit kann in der Folge dann unerwartet Müdigkeit eintreten. Das kurze Nickerchen bemerkt zuerst der Copilot, wenn denn einer anwesend ist. Die Segelflieger kennen bezüglich Hypoxie eine Nulltoleranz, führen immer Sauerstoff mit sich und nutzen ihn oft vom Start bis zur Landung. Ein von Dr. Schaffner erfundenes, kleines Gerät gibt dabei nur eine minimalerforderliche Sauerstoffmenge ab, um die Sättigung immer auf 100% zu halten. Allen anderen Luftraumbenützern legt er dies nun sehr ans Herz und geht damit weiter als es die um die 1950 verfassten Vorschriften über Sauerstoff im Flugzeug verlangen.
Nach einer kurzen Pause mit Kaffee und Gipfeli, begleitet von aviatisch fundierter Musik (von «Belpmoos» bis zu «Volare») grossartig zusammengestellt von Adrian Stocker, der auch für die ganze Hörsaal-Installation im Hangar 1 verantwortlich zeichnete, folgten wir den weiteren Vorträgen und das Publikum war wieder vollzählig – ohne «Abschleicher».
Der Traum vom Fliegen führt für alle über den medizinischen Eignungstest, realisiert durch einen AME, oder zur militärischen Laufbahn über das Fliegerärztliche Institut in Dübendorf. Dessen Chefarzt Dr. Denis Bron erläuterte uns die verschiedenen Phasen des Eignungstests und erklärte, dass von etwa 800 Bewerbungen für die militärische Selektion pro Jahr zehn ausgewählt werden. Diese Zahl soll aber niemanden hindern, sich nicht via SPHAIR eine Einstiegschance in einen zivilen Luftfahrtberuf zu sichern.
Nun sollte es in der Schweiz bald neue Kampfflugzeuge geben, doch ihre Piloten sind jetzt noch in der Schule. Sicher werden sich die Selektionskriterien weiter entwickeln wie die Technik der neuen Systeme. Der einheimische René Zürcher gab uns nach einer Beschreibung des neuen Kampfjets F-35, von dem weltweit schon 750 verkauft sind, als Beispiel einen Einblick in den Aufbau des Fliegerhelms. Dieser Helm fühlt und informiert den Piloten, das Erlebnis wird einer Virtual-Reality-Szene vergleichbar sein. Fliegen wird der Pilot der fünften Generation schon noch, doch werden ihn kaum mehr Wetter und Wolken beschäftigen, denn er wird über seinen Helm alle Informationen über Sensoren aus dem Flugzeug, vom Boden und von Satelliten erhalten und somit im Zentrum eines Systems arbeiten, wo alles koordiniert ist, aber der Mensch zum Glück über die künstliche Intelligenz wachen wird.
Zurück in die Gegenwart und ganz speziell nach Saanen brachte uns die Darstellung von Yves Girard, der uns die Komplexität aufzeigte, die eine Landung mit einem Business-Jet auf dem Gstaad-Saanen-Airport bedeutet. Fast geräuschlos scheint der Anflug, wenn er mit einer Pilatus PC-24 quasi im Gleitflug über dem Grund auf die Piste eindreht. Doch um diese Position zu erreichen, braucht es jahrelange Erfahrung und jedes Mal exaktes Planen jeder Flugphase. Gut vorbereitet und gut geschult zu sein, bedeutet weniger Stress. Als ehemaliger Kommandant der «Patrouille de France» hat er uns auch in seinem Vortrag gezeigt, was Millimeterarbeit ist. Das beginnt beim Studium der Wettersituation vor dem Abflug, wobei er schon zwei Stunden vor der Landung wissen möchte, welches Wetter ihn hier in den Bergen erwartet, doch das muss er selber aus den Wetterkarten erarbeiten, denn hier zu landen heisst, eigene Verantwortung zu übernehmen. Nach einem langen Flug, meist den Instrumenten folgend und vom Radar in Genf, Zürich oder Sion geleitet, steigt die Spannung. Wenn er ins Tal abtauchen muss, dann ist er ganz auf sich allein gestellt. Bei einer Geschwindigkeit von 200 Metern pro Sekunde ist Vorausschauen in mehrerer Hinsicht entscheidend. Befinden sich andere Flugzeuge, eventuell auch Segelflieger im Luftraum? Wo könnten Hängegleiter sein? Wie bringt er die Geschwindigkeit seiner 20 Tonnen schweren Maschine von 800 km/h auf 200 km/h und dazu noch ein Abstieg von 10’000 auf 1000 Meter über Meer. Rechnen. Prüfen und ganz exakt fliegen sind die Voraussetzung. Die Flugmediziner waren beeindruckt und werden beruhigt sein, wenn sein Blutdruck und Leistungsvermögen gut bis sehr gut sind, alles andere ist eben nicht messbar. Nun, er ist gut gelandet und wir freuten uns, ihn unter uns zu haben.
Aber erst recht beeindruckt waren wir von den fliegerischen Erlebnissen von Oberst i Gst Stéphane Rapaz, erster F/A-18 Pilot der Schweiz. Der in Bex geborene Bauernsohn machte die Pilotenkarriere in der Schweizer Luftwaffe bis zum Mirage-Staffelkommandanten und Kommandanten der Patrouille Suisse, später des PC-7 Teams. Wer hat ihn nicht gesehen und bewundert. Es folgte eine akademische Ausbildung an der Cranfield University / Royal Military College of Science in England, und damit erwarb er die Erfahrung, die es braucht, Flugzeuge technisch und taktisch zu beurteilen. Als Test- und Demo-Pilot hat er den Absturz mehrerer Kameraden erleben müssen und uns Medizinern erklärt, dass ein Care- Management oder eine Betreuung nach tragischen und emotionalen Ereignissen in unserem Pflichtenheft komplett fehlt. Das zeigt klar auf, dass Flugmedizin zwar für den Piloten ist, im Zentrum aber der Mensch stehen muss.
Wie diese Zusammenfassung zeigt, hat die Fortbildung zur Erkenntnis neuer Dimensionen und zum Hinterfragen bestehender flugmedizinischer Aspekte geführt und somit ihr Ziel erreicht. Schön dass ich das Event planen, organisieren und miterleben durfte. Und nun hoffe ich, dass der Leser beim Blick in den Himmel über dem Saanenland etwas von diesen Gedanken mitfühlen kann.
Über den Autor Lukas Kappenberger:
Prof. Dr. med. Lukas Kappenberger, Herzspezialist, ehemaliger BAZL-Oberexperte und Vizepräsident der Fluggruppe Saanenland, wurde von der SSAVmed und SFPO eingeladen, die Tagung unter dem Motto «What Pilots expect from Aviation Medicine» zu organisieren und zu präsidieren. Der Hauptzweck bestand darin, Extrembelastungen von Piloten zu beschreiben, die den meisten Fliegerärzten so wohl kaum bekannt sind.