Aussenlandung in Boltigen

Im März 2019 forderte ich alle Segelflieger unserer Region auf, mir Berichte ihrer eindrücklichsten Abenteuer zu schicken. Peter Böhlen schickte mir gleich deren zwei. Einer schaffte es ins April-Heft, den anderen möchte ich Euch online präsentieren (Hans-Peter Zimmermann, redaktion@aerobeo.info):

 

Zweimal Umsteigen

von Peter «Bö» Böhlen

Peter Böhlen, Passivmitglied SG Thun

3.7.2001:
Bö sollte arbeiten. Das tut er auch, bis 09:45 Uhr. Jetzt zieht es ihn aber auf den Flugplatz. Montage der HB-742 wie immer alleine. Um 11:55 Uhr ist Bö startbereit. Vorgesehen ist ein Schlepp mit dem anwesenden BAZL-Schlepper, die SG Bern ist ja in Saanen. Vor dem Mittag reicht es aber nicht mehr. Da kommt Marc Hauser mit dem MoSe gerade recht. Schlepp auf etwa 1500m/M in die Nähe von Riggisberg. Die Aufwinde sind viel schlechter als erwartet. Sehr unterschiedliche Basis; sie liegt zum Teil auf etwa 1300 m/M.
Bö erarbeitet sich am Gurnigel doch knapp 1600m/M, und mit Südwestwind schleicht er unter der „Malojaschlange“ der Stockhornkette entlang. An der Moosfluh ob Reutigen lassen sich 1550 m/M erschwindeln. Mit der Windrichtung Südwest sollte versucht werden, im Simmental schnell einmal die Krete oberhalb Weissenburg-Berg zu erreichen. Mit mageren 1550 m/M überfliegt er den Eingang des Simmentals und wird mit konstanten 2-3 Meter Saufen empfangen. Jetzt Abdrehen heisst wahrscheinlich Landung in Thun! Bö will nicht nach Thun und fliegt weiter, die bekannten Hänge werden sicher Aufwind hergeben.
Die Windrichtung spielt verrückt: Bis auf etwa mittlere Hanghöhe bläst erstaunlicherweise Bise, im oberen Stockwerk eindeutig Südwest. Vorbeiflug an der Mittelstation der Stockhornbahn auf kaum 1400m/M. Weiter, weiter…! Die Mischzone der Luft auf der Flughöhe ergibt nicht mehr als unberechenbare Turbulenzen und die rettende Krete bei Weissenburg schüttelt nur, rettet aber nicht. Westlich vom Eingang des Buschetals an einem „Minikretchen“ erreicht Bö fast Kretenhöhe: ca. 1200m/M. Diese Höhe lässt sich halten, das ist aber auch alles. Also weiter! Optisch sieht die nördlich liegende Schwidenegg (2007m/M) wie ein Viertausender aus. Ganz erstaunt und etwas ungewohnt muss Bö zur Kenntnis nehmen, dass das Landefeld in Boltigen immer wichtiger wird.
Ueberall wird Heu eingetan, beim tiefen Überflug muss Bö fast aufpassen, dass ihm die aufgestreckten Heugabeln nicht in die Quere kommen! Gegen die Talsohle wird die Turbulenz noch grösser, Kreise sind eher einer Achterbahn nachgeflogen, genügend Geschwindigkeit ist sehr wichtig! Also, die von Bö für Winter-Theorieabende zusammengetragenen Unterlagen, aber vor allem das Abschreiten und Skizzieren des Landefeldes Boltigen müssen jetzt zum Tragen kommen. Der starke, aber eher nur an den Hängen turbulente Talwind bedingt einen erhöhten Anflug aus Südwesten, also talabwärts. Die weithin sichtbare, mitten im Talgrund stehende Antenne ist der Richtpunkt, und gleich südlich daneben zwischen Antenne und Bahnlinie liegt der früheste Aufsetzpunkt. In den Hirnwindungen werden noch alle einmal skizzierten Zäune hervorgeklaubt, auch sucht das Auge während des ganzen Endanflugs nach möglichen unbekannten Zaunpfählen und Unebenheiten. Der Landeanflug passt wunderbar, der Gegenwind ist hilfreich. Was aber nicht zu sehen ist: Die unzähligen weichen Wühlmaushaufen sowie der sonst harte Boden sind alles andere als fein. Der Lärm und das Gerumpel sind enorm, Bö fürchtet das Einknicken des gefederten Rades (wie mag das mit ungefedertem Rad ablaufen?). Totale Stille, das Rad ist nicht eingeknickt, Bö steht in Boltigen.
Zeit 13:20 Uhr. Jetzt fängt der Tag erst richtig an! Keine Rückholmannschaft! Auf dem Belpmoos nur BAZL- Leute, das Auto mit der Anhängerkupplung im Geschäft in Toffen, in Boltigen kein Schwanz, der Bö die Libelle aus dem Feld stossen hilft Zudem wollte Bö sowieso nicht nach Boltigen.
Da der Ablauf des Rücktransportes kompliziert erscheint, entschliesst sich Bö, alles alleine zu machen! Ist ja ganz einfach: Er muss nur mit der Bahn das Tal hinunterfahren, dann… wohin fährt die Bahn eigentlich? Wahrscheinlich nach Spiez. In Spiez nur umsteigen, (für „Bahnungängige“ gar nicht so einfach)! Dann nur nach Thun, wieder umsteigen, und in Belp das Aussteigen nicht verpassen. Nur Fussmarsch ins Belpmoos, nur nach Toffen fahren, nur in das Auto mit der Anhängerkupplung steigen, nur die Wechselnummern nicht vergessen, nur zurück zum Flugplatz und mit dem Anhänger nach Boltigen fahren. Jetzt nur noch die Libelle demontieren, verladen und zurückfahren. Voila! Diese Gedanken müssen nun nur noch in die Tat umgesetzt werden.
Zuerst muss das Flugzeug an den Feldrand bei Boltigen gestossen werden. Aber zerr…… zerr…..! Kaum ein Meter gewonnen, sackt das Rad in ein Loch, und die Libelle lässt sich wie ein bockiger Esel fast nicht mehr bewegen. Es sollen noch viele Löcher und Buckel folgen! Irgendwo in der Nähe verliert sich ein Feldweg im Gras. Bö findet den Weg etwa 60 Meter nördlich. Bö zerrt und wuchtet am Flugzeug, hackt mit den Moonboots wie ein Hornusser standfeste Stufen in den Boden, wuchtet vor und zurück, verlegt die Spur, um so den grössten Löchern auszuweichen. Schon jetzt weiss er, dass sein Rücken sehr beleidigt sein wird. Ausgepumpt erreicht er den Weg, sichtlich ein Teilerfolg. Die restlichen etwa 200 Meter bis an das Feldende sind dagegen fast geschenkt. Die HB-742 steht jetzt am Feldende und muss nur noch mit dem immer im Flugzeug verstauten Verpflockmaterial verankert werden. Ein Pilot der SG Zweisimmen erscheint mit einem Jeep, lässt sich berichten und bringt Bö zum Bahnhof! Um weitere Hilfe mag Bö nicht bitten.
Wann kommt überhaupt ein Zug, und wie geht das mit dem Billettautomaten? Gibt der auf einen Hunderter Retourgeld? Fragen, lauter Fragen!
Etwas verunsichert blickt Bö umher, und der erste Angesprochene antwortet auf die entsprechende Frage: Sie können bei mir die Fahrkarte lösen. Uff! Erleichtert bezahlt Bö Fr. 26.— für Boltigen-Belp einfach. In einer Viertelstunde, um 14:14 Uhr, kommt der Zug. Die Zeit reicht für ein Bier. Jetzt sitzt Bö in der Bahn und kann die noch eben tief überflogenen Hänge geruhsam betrachten. Talaufwärts blickend beunruhigt ihn eine grösser werdende Wolke, und mit doch etwas ungutem Gefühl lässt er sich von Boltigen entfernen.
Unzählige Haltestellen und Haltestellchen werden von der MOB bedient, Bö vermutet, nur um ihn ungeduldiger zu machen. Immer noch nicht Spiez! „ Nächster Halt Lattigen“, „Nächster Halt Spiezmoos Westsüdwest“ oder so, dann aber doch endlich Spiez! Nur nicht in einen falschen Zug! Etwa einen Schnellzug nach Brig, ohne Halt bis Brig. ICE 15:02 Uhr Richtung Thun ist angeschrieben, Bös dämliche Frage «Hält der in Thun?» wird mitleidig bejaht. Dem Warten auf dem heissen Perron folgt eine seidenweiche, gekühlte Fahrt nach Thun. Bö, umringt von vielen leicht und gut bekleideten Weltreisenden, ist froh, dass er nach der Landung seine Moonboots mit den leichten Halbschuhen getauscht hat! Schon fast als Bahn-Profi entert er in Thun den „Gürbetaler-Blitz“. Viel zu langsam, und auch nicht mehr gekühlt, geht die Reise durch das Gürbetal. Belp wird um etwa 16:00 Uhr erreicht. Komisch, die vom Beruf her sehr vertraute Gegend sieht unter den jetzigen Umständen fast ein wenig anders aus. So, zügig losmarschieren zum Flugplatz. Auf halbem Weg kreuzt den Marschierenden ein Autofahrer, der Bö noch in der Luft und weit weg wähnt: FK (Fritz Krebs). Bös kurze Schilderung löst entsprechendes Gelächter aus.
Fritz fährt Bö zum Flugplatz und erzählt von seinem Flug: Um nicht abzusaufen, habe er 400 Meter über Sitten den Motor in Gang gesetzt. Er gehe jetzt wieder ins Büro. Eine Bemerkung von Fritz weckt in Bö den Gedanken: Möglicherweise ist Fritz wegen dem Motor in seinem Flugzeug um solche emotional starke, fast etwas abenteuerliche, manchmal aber alles andere als nur angenehme Erlebnisse ärmer geworden! Der Gedanke ist weg, Fritz geht ins Büro. Bö nur nach Toffen, Belp, Boltigen, wo nach problemloser Fahrt der Anhänger etwa um 18:00 Uhr bei der Libelle auf dem Feldweg steht. Noch einmal ein Gezerre, und die 742 ist demontagebereit davor. Der erhöhte Weg und der unebene Boden sind für eine Solo-Demontage schwierig, aber trotz Wind und weiteren Erschwernissen steht um 18:45 Uhr der Anhänger abfahrbereit, die Libelle ohne jeden Schaden verpackt. Bö, langsam aber sicher auf den Felgen, fährt noch nach Blumenstein, wo der Anhänger für eine Nacht stehen bleibt.
Zeit19:35 Uhr. Die nach einer solchen Landung notwendige Reinigung und Kontrolle, vor allem des Fahrwerkes, zeigt, dass kein Schaden entstanden ist. Allerdings schmerzt Bö’s Rücken und hilft damit, das Erlebnis nicht so schnell zu vergessen.

 

 

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